Dienstag, 19. Februar 2008

Irland - das Geld liegt auf der Strasse

Liest man Bölls "Irisches Tagebuch" oder jedes andere Buch eines deutschen Irlandreisenden aus der Zeit vor den 1990er-Jahren, wird einem Irland als das Armenhaus Europas, als "westlichstes Entwicklungsland" präsentiert (vergessen wir mal kurz, dass Portugal noch ein Stück weiter gen Westen reicht...).

Auch von Bekannten, welche lange vor dem "Celtic Tiger" das Land bereisten, hörte ich Geschichten über die bittere Armut der Iren. Ein Freund meiner Eltern berichtete von seiner Irland-Rundreise in den 70ern, und wie er schockiert war, Verhältnisse, die man sonst aus "klassischen Entwicklungsländern" gewohnt war, hier in Westeuropa anzutreffen: schmutzige Kinder in zerrissenen Kleidern, unterernährt und kränklich, in Limerick im Regen stehend, irische Shantys für ein paar Pennys singend...

So wie sich Irland mir bisher präsentiert hat, kann man sich das heutzutage nicht mehr vorstellen. OK, die Krankenhäuser haben den schlimmsten Standard Westeuropas (ja, noch schlimmer als in England), die Wohnungen sind so miserabel, dass es zum heulen ist, und alles ist furchtbar überteuert, ohne dass man dafür anständige Qualität geliefert bekommt (ein Hauptunterschied zur Schweiz, wo man für die hohen Preise zumindest Service und Qualität erhält).

Trotzdem geht es den Iren so gut wie noch nie zuvor, die Wirtschaft brummt auch jetzt noch (obwohl sich das Wachstum zum ersten Mal seit den 90ern abschwächt) und Arbeitslosigkeit ist eigentlich nicht vorhanden - wer will und kann, der findet hier tatsächlich IRGENDEINE Beschäftigung (dass das zum Leben noch lange nicht reicht, steht woanders).

Was mich in diesem Zusammenhang immer wieder wundert ist, wie viel Geld hier sprichwörtlich "auf der Strasse liegt". Kein Scherz - es vergeht kein Tag, an dem ich nicht zumindest 1 Centstück liegen sehe - und keiner der sich bückt.

Einmal habe ich es "getestet", ich sah morgens an der DART-Haltestelle in der Stadt, an der ich täglich aussteige, ein 50-Cent-Stück liegen und zwar an einer Stelle, an der täglich hunderte Menschen vorbeikommen. Ich liess es liegen, es war ca. 9 Uhr morgens.

Als ich abends gegen 18.30 Uhr wieder dort vorbeikam, lag es tatsächlich immer noch an derselben Stelle.

Oft sieht man Münzen liegen, die vom Regen alt und angerostet aussehen - Geld tritt sich hier also offenbar fest.

Auch Kollegen ist dies aufgefallen, und v.a. die Deutschen bücken sich natürlich nach jedem Groschen, ganz nach der kulturellen Konditionierung "Wer den Pfennig nicht ehrt...".

Ich persönlich würde ja sagen: "Wer sich auf Kleinkram konzentriert und nicht in größeren Zusammenhängen denkt, dem entgeht das grosse Kuchenstück - also lass den Scheiss liegen".

Bei den Iren hab ich aber das Gefühl, dass es sich um Trotz handelt - als Ergebnis jahrhundertelanger Knechtschaft und Armut präsentieren sie sich nun mit einer Mischung aus Trotz und Arroganz. Sie sind "Fashion Victims" und sie sind ganz schön selbstverliebt, sie geniessen die tägliche Lektüre der kostenlosen Schundblätter, welche einem morgens beim Einstieg in die Züge förmlich in die Hände gedrückt werden, diese "Tabloids", in denen sich alles nur um Mord und Totschlag, Mode und oberflächliche Pseudo-News dreht. Sie stürmen an den Wochenenden die Innenstadt und kaufen überteuerte Mode bei Brown Thomas (Dublins teuerstem Edelkaufhaus, dessen Papiertüten zum Statussymbol junger Irinnen geworden sind) und Marks&Spencer. Sie fahren Autos, deren Power sie in Dublin wegen der Staus und außerhalb Dublins wegen der viel zu engen Sträßchen nie und nimmer ausnutzen können. Sie trinken schlechten amerikanischen Kaffee bei Starbucks und Insomnia und halten ihre kleine Insel für den Nabel der Welt, schauen dennoch neidvoll auf England und London, von wo dann letzlich doch die bessere Ware kommt.

Ein wahrlich seltsames Land....

WinterWetter

Dafür, dass ich hier über mein Leben in Irland schreibe, steht noch erstaunlich wenig über das Wetter in diesem Blog. Dabei sind Gespräche über das Wetter in Irland fast schon etwas tiefsinnig-philosophisches - zumindest wird man kaum ein Gespräch mit einem Iren führen können, ohne das Thema "Wetter" in irgendeiner Art und Weise zu behandeln.

Kaufe ich beim Tante-Emma-Laden um die Ecke Milch und Frühstücksspeck ein, und es regnet gerade nicht, muss ich mir schonmal anhören, was für einen "fine day" wir heute haben.

Und natürlich leiden die Iren gerade unter der bitteren Winterkälte. Pudelmützen und Schals sind angesagt - dabei haben wir an besonders kalten Tagen gerade einmal 1 Grad, manchmal sogar ein oder zwei Grad unter Null.

Dennoch war ich diesen Winter eigentlich dauererkältet, jedoch lag dies weniger an der Temperatur denn am Wind. Der pfeift hier übelst vom Atlantik Richtung Osten, manchmal fast schon orkanartig. An wärmeren Tagen kommt er auch mal von Süden, also von Spanien hier an.

Jetzt im "Winter" ist es morgens besonders gern nebelig. Ich liebe es, morgens gegen 8 das Haus zu verlassen und in die Stille Welt des Nebels einzutauchen. Alles ist so schön gedämpft. Und dazu tönt hier dann im Minutentakt das Nebelhorn von irgendwo herüber, um die Schiffe vor dem berüchtigten irischen Seenebel zu warnen.

Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war der kein Spass für die irischen Fischer. Oft kommt der Nebel schlagartig auf, und wenn man dann auf seinem kleinen Fischerboot gerade auf hoher See ist, kann es sein, dass man den Weg zurück an Land nicht mehr lebend findet.

Heutzutage hat das für mich zumindest was sehr angenehmes. Morgens auf den Zug zu warten, die Seevögel gerade noch so zu erkennen und dann dieses tiefe Tönen des Nebelhorns. Fantastisch...