Freitag, 26. Dezember 2014

A New Hope

Verdammt lang her, verdammt lang, verdammt lang her.... einer der Songs, die in meiner Kindheit große Hits in Deutschland waren.

Deutschland, genauer gesagt: Baden-Württemberg, Landkreis Böblingen, Gemeinde Weil im Schönbuch.

Im Wald, an der Bundesstraße zwischen der Arbeiter-Doppelstadt Böblingen-Sindelfingen und der Universitätsstadt Tübingen.

Weil im Schönbuch, benannt nach dem römischen Wort "Villa", womit angeblich der Ort einmal begann, damals zur guten alten Römerzeit.

Ein Ort der Gegensätze - in den 90er Jahren war das Dorf eine von zwei Gemeinden im Landkreis, in dem die Rechtsextremen Republikaner Wahlerfolge hatten.

Das scheint inzwischen lange her, war für mich in der späten Jugend (ich bin Jahrgang 1975), und als Mischlingskind eines Deutsch-Arabo-Französischen Ehepaares  mit arabischem Vornamen, sass ich auch hier wieder zwischen allen Stühlen.

Mein Vater ist inzwischen ein nicht nur im Ort, sondern in ganz Deutschland (und ein bisschen auch in Frankreich und in seiner Heimat Algerien) bekannter Märchenerzähler. Und die "Weilemer" (wahrscheinlich auch solche, die damals die "Republikaner" wählten) sind stolz auf ihren Künstler.

Arbeiterstadt <--> Unistadt; Deutsch <--> Ausländer, es gibt noch einen Gegensatz: mit meinem Vornamen nahm und nimmt ein jeder, der mich kennen lernt, an, ich sei Muslim. So ganz automatisch.

Nichts liegt mir jedoch ferner - die Familie meiner Mutter ist komplett Neuapostolisch, und da mein Vater, obwohl in Algerien von einer muslimischen Mutter erzogen, sich von Anfang an sagte: "Du bist hier Gast in diesem Land, dass Dich aufgenommen hat. Die Erziehung, gerade die religiöse, Deiner Kinder, überlässt Du mal schön Deiner Frau!" - nun, deshalb bin ich christlich erzogen worden. Wie damals bei den "Neuapostolen" üblich mit 3x die Woche in die Kirche rennen, Sonntagsschule für die Kinder, biblischer Geschichte und schließlich im Alter von 14 Jahren einer ordentlichen Konfirmation und dem quasi "automatischen" Beitritt in den Kirchenchor.

Das Ganze habe ich tatsächlich bis zum Alter von 17 Jahren mitgemacht, obwohl ich eigentlich schon im Alter von 12 anfing, dem Vorsteher immer weniger zu glauben von den "Stories", die er da von der Kanzel verkündete. Zu weit klafften für mich schon damals Anspruch der Predigten und die Realität des Vorgelebten (von den Kirchenmitgliedern) auseinander. Zudem fielen mir die vielen Widersprüche und unlogischen Passagen in den Predigten früh auf, und da ich mit Leib und Seele der Fantasy-Literatur verfallen war, interessierten mich Elfen, Magier und Drachen eh mehr als die Bibel.

Als ich mit 17 aus der Kirche austrat, war das nur die längst überfällige Folge eines bereits lange vollzogenen Prozesses gewesen.

Aber ich schweife ab....

Ja, wozu erzähle ich überhaupt so viel von meiner Herkunft und von den "Gegensätzen", zwischen denen ich aufwuchs?

Arbeiterklasse <--> Studentenstadt
Stadt <--> Wald
Deutschland <--> Frankreich, Algerien
Christentum <--> Islam (immerhin waren und sind viele meiner Cousins in Frankreich und Algerien Muslime)

Nun, um das zu erklären, muss ich noch mehr ausholen, bzw. weitererzählen.

Ich habe, nach einigen Umwegen (Ausbildung, Zivildienst, Arbeitsleben) 1999 das Studium der Japanologie und vergleichenden Religionswissenschaft an der Universität Tübingen begonnen, in dem Verlauf des Studiums auch ein Jahr in Kyôto gelebt und studiert, in Tübingen geheiratet und schließlich (ich hatte es noch nie eilig im Leben, das Ende kommt ganz von selbst) 2007 meinen Magister gemacht in der Absicht, eh an der Uni zu bleiben und Dozent, irgendwann natürlich Professor zu werden.

2007 kam aber auch die Firme Google auf mich zu und hatte mir das Angebot gemacht, im europäischen HQ in Dublin eine Stelle anzutreten. Was als Abenteuer für zwei, maximal drei Jahre begann, ist nun (Weihnachten 2014) siebeneinhalb Jahre her.

Und mein damals begonnenes "Auswandererblog" auf Wordpress (inzwischen migriert zu Blogger) lag Jahre lang brach - zu beschäftigt war ich, aber auch Facebook war Schuld, der alte Blog-Mörder.

Inzwischen bin ich zu aktiv auf Facebook geworden (ist ja auch so praktisch, mit all den "Freunden" die sich dort tummeln). Allerdings hat mich von Anfang an gestört, dass ich meine Beiträge dort nur sehr mühsam finde, dass sie auch nicht mir, sondern Facebook gehören (auch meine Fotos), und dass bei meinen weltanschaulich "heftigen" Status-Updates auch regelmässig Leute beleidigt waren, mir die Freundschaft kündigten und ähnliche Dramen.

Kurz: ich bin so langsam Facebook-Müde geworden, vor allem was ordentliche Texte angeht und Meinungsäußerungen, die ich nicht diskutieren will, zumindest nicht dort.

Und noch etwas ist passiert, gerade in diesem Herbst / Winter 2014. Es hat den seltsamen Namen "Pegida" und ist seit meinem Auswandern 2007 mit das Hässlichste, Dümmste und Schauderhafteste, was aus Deutschland in mein friedliches Insel-Exil vorgedrungen ist.

Ich bin erzürnt, erzürnt über die Masse an offensichtlichen Idioten, Rassisten und Mitläufern, die in Deutschland die Weihnachtszeit, das Weihnachtsfest und das Christentum mißbrauchen, sich zu selbsternannten "Rettern des Abendlandes" erklären, im Grunde aber nur Proleten, Rassisten und Wutbürger sind.

Wenn die Idioten und Gewalttäter anfangen, zu marschieren und zu skandieren, dann darf die Mehrheit der Anständigen nicht länger schweigen, egal wo auf der Welt sie sich aufhält.

So gesehen ist die "Pegida"-Bewegung mit ein Grund, warum ich wieder mit dem Schreiben eines Blogs angefangen habe. Mehr ein "Auslöser", denn in meinem Hinterkopf hatte sich schon seit Längerem der Vorsatz festgebissen, mehr zu schreiben, und weniger Zeit auf sogenannten "sozialen Netzwerken" zu verbringen.

Zwar ist mein eigentliches Ziel, mein lange in der Schublade liegendes Buch weiter zu schreiben, aber ohne Übung kein Meister, und das Schreiben eines Blogs soll mich wieder auf den Geschmack bringen. Zumal ich immer seltener auf Deutsch schreibe in den letzten Jahren, aber vor habe, die Mehrzahl meiner Blog-Beiträge hier auf Deutsch zu verfassen.

Nun schließt sich der Kreis: verdammt lang her, dass ich einen Blog-Artikel geschrieben habe. Verdammt lang her, die friedliche Zeit der 70er und 80er-Jahre in Südwestdeutschland, die ich als "Kindheit" erinnere, in der Eltern es noch "cool" und spannend fanden, ihrem Kind einen arabischen Namen zu geben (kein Mensch hatte damals an Islamisten oder Terroristen gedacht).

Das dieses Kind dann aber in den 2000ern - auch auf Grund des Namens - in Deutschland keine Anstellung fand und schließlich in Irland landete.

"Irisches Tagebuch" - einer meiner Literatur-Helden, Heinrich Böll, hat viel romantisch-verklärendes über Irland geschrieben. Ich gedenke nicht, in seine Fußstapfen zu treten (meine Irland-Erfahrung ist vermutlich mal eine andere geworden), aber hier sitze ich und kann nicht anders, auf meinem Berg in Howth, an den Klippen, vor den Fenstern die Irische See und bei gutem Blick die Westküste von Wales vor Augen, die Irische Briese um die Nase und den Laptop auf dem Küchentisch - und mit dem festen Vorsatz versehen, das eine oder andere triviale (Essens-Fotos, Links zu meinem Bücher-Blog) und weniger triviale (Einblicke in und aus Irland, meine Meinung zum Leben, dem Universum und dem ganzen Rest) zu schreiben.

Na dann - zieht Euch mal warm an, Stormbringer is back.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen