Samstag, 3. Mai 2008

Heimweh

"Heimweh" - welch seltsames Wort. Es ist so sehr deutsch, dass es einem im Allgemeinen Sprachgebrauch kaum auffällt, das "deutsch-sein" dieses Wortes.

Heimweh klingt so sehr nach "Wehmut", es schwingt ein gut Stück Heine darin.

Das Englische "homesick" ist eigentlich treffender, denn ähnlich wie der culture shock ist die homesickness in der Tat ähnlich einer Krankheit.

Heimweh ist fies, oft überfällt es mich, wenn ich es am Wenigsten erwarte.

In Irland ist jetzt Frühling, und seit ein paar Tagen sogar "unzynischer" Frühling, d.h. der Himmel ist öfter blau als bewölkt, und es scheint richtiggehend die Sonne. Abends ist es oft noch bis 20 Uhr hell, und mit Sweater schwitzt man sogar in den Straßen.

Die Bäume spriessen, Kirsch- und Apfelblüte wenn ich mich nicht täusche, und die Menschen wirken entspannter, fröhlicher.

Heute bin ich am Meerufer entlang zum Supermarkt gegangen und war eigentlich in guter Stimmung. Schließlich werde ich nächste Woche für ein paar Tage die Familie in Deutschland besuchen.

Dann im Supermarkt (ich hatte meine tolle Kundenkarte vergessen und konnte nicht wie sonst den elektronischen Checkout benutzen) warte ich in der Schlange an der Kasse und während ich mit Gedanken ganz woanders bin (nächste Woche halte ich an meiner Alma Mater einen Vortrag über meine Magisterarbeit und meinen derzeitigen Brötchengeber), fällt mein abwesender Blick auf die Einkaufswägen der Menschen vor mir.

Eine kleine, ältere, blonde Frau in der Schlange vor mir hat 3 Riesenpackungen weisses Toasbrot, 2 Gallonen Milch in den hier üblichen Plastikflaschen, einen gekochten Schweineschinken und einige Packungen der typisch irischen Schweinswürstchen im Wagen. Irischer geht es nicht. Der Blick schweift auf die Einkaufswägen anderer Menschen. Ähnliche Resultate (in meinem Wagen sind magere 250 Gramm Schweinefleisch, eine Fertigsauce für englisches Curry, indisches Naan-Brot und etwas Gemüse...) bei all den anderen (irischen) Supermarktbesuchern: alle haben sie so typisch irische Produkte in ihren Einkaufswägen, als wäre die Szene für eine Fernseh-Show gestellt worden!

Und plötzlich ist es da, das Heimweh. Es durchzuckt mich wie in Blitz aus sprichwörtlich heiterem Himmel, ich fühle mich - fremd. Ich bin fremd.

Natürlich weiss ich, dass alle anderen wissen, dass ich fremd bin. Ich schaue die Menschen an - den etwas dicken Typ an der Kasse, der lockige Kerl, der die Sachen für einen in die Einkaufstüten packt, und mich irgendwie an Pippin aus den 'Herr der Ringe'-Verfilmungen erinnert, die Leute vor und neben mir - 'irische Stereotypen'.

Es ist ein seltsames Gefühl, dieses Heimweh. Es ist Sehnsucht. Nicht nach "Deutschland" (ein Begriff, mit dem ich, Hitler hin, Matussek her, nix anfangen kann), nicht nach "Heimatboden".

Es ist ein Sehnen nach dem mir bekannten Kulturkreis.

Nein. Es ist das schlagartige Bewusstwerden, das körperliche Fühlen der 1200 Kilometer zwischen meinem jetzigen Seins-Punkt und dem Ort meiner Kindheit, meiner Eltern.

So gesehen ist Heimweh ein Gefühl, dass ich sicher auch in Berlin bekommen kann. Denn nur weil es dort mehr Nutella und weniger irisches Schweinefleisch gibt, heisst das ja noch lange nicht, dass ich in Berlin "heimisch" werden könnte.

Es ist auch die Situation: ich bin ja nicht nur für ein Jahr hier, wie damals in Japan (wo "Heimweh" sicher auch ab und an im Spiel war, allerdings hatte es dort mehr gespielten Charakter, ich konnte mich dort in meinem künstlichen Heimweh und Weltschmerz im Grunde auch sauwohl fühlen).

Hier und jetzt ist mir elend zu Mute, da hilft auch kein Ryanair. Es ist das Erkennen, dass ich in der Tat ausgewandert bin. Fini. No turning back. Zumindest nicht "einfach so": schnauze voll, zurück nach Hause - schnell und billig ist das nicht zu haben (und meine Bücher opfere ich auch dem Heimweh nicht).

Ja ich bin immer noch stolz, dass ich dem Arbeitslosenverwaltungsamt ein Schnäppchen geschlagen habe und nun bei der besten Firma der Welt arbeite. Ich bin immer noch der Meinung, dass es in Deutschland zu viele Dinge gab, vor denen ich davon ausgewandert bin. Ich bin mir immer noch bewusst, wie eingeengt und gefangen ich mich in Schwaben immer gefühlt habe und auch immer fühlen werde.

Und plötzlich muss ich an Heine denken. Der hat es in Deutschland auch nicht mehr ausgehalten, um dann in der Fremde, im Exil, sich regelrecht danach zu sehnen.

Ein in der Tat seltsames Gefühl, Heimweh.

P.S.

Inzwischen bin ich mir bewusst, dass es in meinem Fall mehr mit den Menschen, welche ich zurück lies, zu tun hat als mit irgendwelchen nationalen oder regionalen Besonderheiten. Familie und Freunde - sie sind und bleiben meine wahren Heimat... ihr fehlt mir.

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